Sicherheit nach Kassenlage – die seltsamen Braunkohlekonstruktionen des Sächsischen Oberbergamtes

Wie sich Wirtschaftsminister und seine Bergbehörde aus selbst erzeugten Problemlagen winden wollen

Aller zwei Jahre sind die Hauptbetriebspläne von Braunkohletagebauen im Rahmen einer Neuzulassung zu überprüfen. Im Dezember 2017 war die Zulassung des Hauptbetriebsplans für den Tagebau Nochten I („LEAG“, genauer Lausitzer Energie Bergbau AG) für den Bergbaubetrieb in den Jahren 2018 und 2019 fällig. Im Rahmen einer Betriebsplanzulassung hat die Genehmigungsbehörde – in diesem Fall das Sächsische Oberbergamt – die Möglichkeit, die Leistung einer Sicherheit in Höhe der zu erwartenden Kosten für Wiedernutzbarmachung und Vorsorge einzufordern. Sicherheitsleistungen sind für Bergbautätigkeiten aller Art allgemein üblich, um die gesetzlich geregelte verursachergerechte Finanzierung von Bergbaufolgekosten selbst dann sicherzustellen, wenn der Bergbautreibende etwa Jahre nach Ende des Bergbauvorhabens dafür nicht mehr wirtschaftlich leistungsfähig sein sollte. Nur für die Braunkohletagebaue wurde bisher – trotz der ganz besonders hohen Folgekostenrisiken – eine Ausnahme gemacht.

Durch diesen langjährigen Verzicht der Behörde auf Sicherheitsleistungen – eine wirksame indirekte Subventionierung der Braunkohle – haben auch sächsische Staatsregierungen überhaupt erst das Problem geschaffen, indem sich bis heute Bergbaufolgen in Milliardenhöhe ohne insolvenzfeste Absicherung akkumulieren konnten. Es ist ein Braunkohle-Geschäftsmodell entstanden, das diese indirekten Subventionen mit einpreist. Nur dadurch entsteht überhaupt das Problem, dass eine sofortige Nachholung aller Sicherungen Unternehmen möglicherweise überfordern würde. Wäre die Folgekostenabsicherung von Anfang an verantwortungsvoll und ohne falsch verstandene Kumpanei mit der Kohlewirtschaft erfolgt, so hätte etwas mehr Ehrlichkeit in der Energiepolitik geherrscht und es wäre nie ungedeckter Sicherungsbedarf der öffentlichen Hand in Milliardenhöhe aufgelaufen.

Wir haben dieser Hauptbetriebsplanzulassung für den Tagebau Nochten I vom Dezember 2017 mit besonderem Interesse entgegen gesehen – handelte es sich doch um die erste anstehende Zulassung, nachdem sich der Sächsische Rechnungshof im Februar 2017 in einem geheimen Sonderbericht gegenüber dem Sächsischen Landtag zu den Risiken äußerte, die für öffentliche Haushalte aus den Folgekosten der Braunkohle erwachsen.

Klar war bereits, dass das Sächsische Oberbergamt als Genehmigungsbehörde und der zuständige Wirtschaftsminister Martin Dulig auf die immer offensichtlicheren Handlungszwänge reagieren mussten. Bis zum Zulassungsbescheid und seiner Begründung war indes nicht klar, inwieweit das auch tatsächlich materielle Konsequenzen für die Braunkohlewirtschaft haben würde.

Der Zulassungsbescheid liegt nun vor. Tatsächlich enthält er erstmals überhaupt Festlegungen zur Ansammlung realer Mittel und deren Sicherung zum Zweck der Finanzierung der Wiedernutzbarmachung nach Ende des aktiven Tagebaubetriebs. Das ist in der sächsischen Braunkohle-Genehmigungspraxis neu, positiv und sicherlich auch dem hartnäckigen, langjährigen Aufklärungsdruck und der Kritik von Grünen und Linken im Sächsischen Landtag geschuldet.

Über die tatsächliche Ausgestaltung im Zulassungsbescheid vom 27.12.2017 jedoch kann man nur verwundert den Kopf schütteln. Statt den einfachsten Weg zu wählen und nach einer Bewertung der zu erwartenden Bergbaufolgekosten verwertbare Sicherheiten in erforderlicher Höhe einzufordern, wurde eine wesentlich kompliziertere und in dieser Weise erstmals angedachte und keineswegs bereits zu Ende entwickelte Konstruktion gewählt.
Dabei hätte die Umsetzung der Sicherheitsleistung nach §56 Absatz 2 Bundesberggesetz gerade im im Fall der EPH, genauer der Tochter Lausitz Energie Bergbau AG, ganz besonders einfach sein müssen. Der vorherige Eigentümer Vattenfall hatte dem Erwerber EPH nämlich nicht nur den modernsten Braunkohlekraftwerkspark Europas geschenkt, sondern obendrein noch 1,7 Mrd. Euro für die Deckung von Vorsorgeaufwendungen als Barmittel übergeben.
Im Wissen um Geschäftspraktiken von internationalen Finanzinvestoren hatte der Verkäufer sogar mit einer „cash-lock-up“ Klausel dafür gesorgt, dass diese Liquidität frühestens 2021 durch den Erwerber entnommen werden kann.

Es sollten somit bare Mittel vorhanden sein, die speziell für die Deckung der Folgekosten übergeben wurden und damit geeignet sind, ohne zusätzlichen Aufwand des Erwerbers etwaige Sicherheitsleistungen in Höhe der zu erwartenden Vorsorgeaufwendungen abzudecken.
Somit wäre eigentlich genau jetzt der richtige Moment, anlässlich der Betriebsplanzulassung Sicherheitsleistungen aus diesen zweckgebundenen, liquiden 1,7 Milliarden Euro einzufordern und damit ab sofort die Risiken öffentlicher Haushalte aus Braunkohlefolgekosten wirksam zu reduzieren.
Genau das allerdings wurde nicht getan.
Im Gegenteil: mit sofortiger Wirkung geschieht – Nichts. Stattdessen soll eine (noch nicht genau definierte) Zweckgesellschaft mit noch nicht bekannter Gesellschafterstruktur ein Sondervermögen noch unbestimmter Höhe aufbauen. Ein erster Sockelbetrag (dessen Höhe erst noch festgelegt wird) soll erst in über drei Jahren, bis 30.6. 2021, dort eingezahlt sein – obwohl die bar übergebenen 1,7 Mrd. Euro für Vorsorgeaufwendungen seit 2016 in der Hand des bergbautreibenden Unternehmens sind. Später sollen dann – und zwar trotz der bereits von Vattenfall an EPH überwiesenen 1,7 Mrd. Euro – aus dem Ergebnis des operativen Geschäftsbetriebes weitere Teilsummen eingezahlt werden, um erst bis 31.12.2031 die Vorsorge- und Wiedernutzbarmachungskosten in abgezinster Höhe verfügbar zu haben.

Mit anderen Worten: eine Sicherung der übergebenen 1,7 Mrd. Euro zur Deckung der Bergbaufolgekosten wird nicht einmal versucht. Vielmehr werden durch das Oberbergamt Festlegungen getroffen, die nur dann überhaupt zum Aufbau eines nennenswerten Sondervermögens führen, wenn ein hoch profitables Braunkohlegeschäft bis mindestens 2031 möglich ist. Genau das hielt aber der jahrzehntelange Betreiber dieses Geschäftes Vattenfall für ausgeschlossen. Vattenfall begründete den Ausstieg aus der ostdeutschen Braunkohle damit, dass ein Weiterbetrieb noch teurer wäre als ein Ausstieg mit hohen Verlusten. Der ausgehandelte Kaufpreis – der modernste Braunkohlekraftwerkspark Europas samt Tagebauen, der für eine zweistellige Milliardensummen errichtet worden war, wurde praktisch verschenkt – ist der klarste Beweis dafür, dass Käufer und Verkäufer nicht von Gewinnerwartungen aus dem Betrieb von Tagebauen und Kraftwerken ausgingen.

Trotz dieser klaren Indizien geht das Sächsische Oberbergamt in seinem Genehmigungsbescheid offenbar davon aus, bis 2031 aus Überschüssen des Geschäftsbetriebs die gesamte nötige Summe zur Folgekostendeckung in einem Sondervermögen sammeln lassen zu können. Das ist bestenfalls blauäugig. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass das erwartbare Scheitern dieses Konzepts zu hundert Prozent einer Energie- und Klimapolitik des Bundes und der EU zugeschrieben werden soll, die man dafür verantwortlich erklärt, dass die Braunkohleindustrie nicht die durch sächsische Brille vorausgesetzten Gewinne abwerfen kann.

Risikoverringernd ist diese aufwändige Konstruktion von Zweckgesellschaft und später anzusammelndem, zu verpfändendem Sondervermögen vor allem für die handelnde Behörde und den zuständigen Wirtschaftsministers: man kann nun darauf verweisen, auf die vielen Warnungen und Mahnungen bis hin zum Rechnungshof schließlich reagiert zu haben, denn man hat die bisherige Nichterhebung von Sicherheiten für nicht mehr ausreichend erklärt und irgendeine Lösung versucht.
Vorteilhaft ist die Konstruktion auch für die Eigentümer der Lausitz Energie Bergbau AG. Denn die Behörde bekundet auch ihre Absicht, bei der Umsetzung des Sicherungskonzeptes die Gewinnerzielungsperspektive des Unternehmens nicht zu gefährden. Das bedeutet, dass die im Bundesbergesetz geforderte finanzielle Verantwortung der Bergbautreibenden für die Folgen der eigenen Bergbautätigkeit nur dann durch Einzahlungen in das Sondervermögen Stück für Stück abgesichert wird, wenn das nicht die jährlichen Gewinnausschüttungen an Finanzinvestoren in Steuerparadiesen gefährdet.

Die Absicherung gesetzlich festgelegter Verpflichtungen gegenüber dem Staat und den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in der Genehmigungspraxis davon abhängig zu machen, dass Spekulanten mit ihrem Spekulationsobjekt ordentlich Kasse machen, ist ein sehr seltsames Verständnis von Regierungsverantwortung und Amtseid.

Einziger Verlierer dieser komplizierten Absicherungskonstruktion im Zulassungsbescheid zum Hauptbetriebsplan ist die Allgemeinheit. Anstelle der möglichen, sofortigen und wirksamen Reduzierung des bestehenden Risikos, später anstelle des Unternehmens für Bergbaufolgekosten in Milliardenhöhe aufkommen zu müssen, hält man nun ein Stück Papier in der Hand. Ein Stück Papier, das möglicherweise später in nicht näher bestimmter Weise zu noch nicht näher definierten, verpfändeten Geldbeträgen führen kann. Und zwar dann und nur dann, wenn mit der Braunkohle in den nächsten 12 Jahren richtig „Kohle“ verdient wird – ein Szenario, das bereits seit Jahren nicht mehr gegeben ist und das der langjährige Betreiber der Gruben und Kraftwerke nach eingehender Analyse auch für die Zukunft für höchst unwahrscheinlich erklärt hat.

Dabei wäre eine Absicherung der Folgekostenfinanzierung mit Hilfe der zu diesem Zweck an EPH übergebenen 1,7 Milliarden Euro Barmittel leicht möglich gewesen. Wenn, ja wenn EPH bzw. seine Tochter Lausitz Energie Bergbau AG überhaupt noch in der Lage sind, Teile dieses Vermögen als Sicherheit zu verpfänden. Die Staatsregierung wird sich eine Reihe von Nachfragen gefallen lassen müssen, warum das hier nicht möglich war. Dient dieses Vermögen möglicherweise längst Dritten als Sicherheit, um unter Umgehung der „Cash-lock-up“ Klausel doch zur Finanzierung irgendwelcher Transaktionen im Finanzinvestorengeflecht beizutragen? Genau das ist die übliche Vorgehensweise internationaler Finanzheuschrecken – den Übernommenen den Kaufpreis und den Sofortgewinn für aussteigende Aktionäre in voller Höhe – möglichst plus gehebelter zusätzlicher Summen selbst zahlen zu lassen. Im Fall des mitteldeutschen Braunkohleunternehmens MIBRAG haben die Eigentümer-Oligarchen hinter EPH bereits gezeigt, dass sie sich auf Geschäfte dieser Art verstehen.

Wer die Vattenfall-Braunkohlensparte übernommen hat, der wusste, worauf er sich einlässt. Es gab die ganz klare Ansage der Bundespolitik, dass der Rahmen der Klimaschutzanstrengungen und der Energiewende ein profitables Geschäft mit ausreichend langer Betriebszeit zur Ansammlung frischer Liquidität für die Folgekostenverpflichtungen nicht mehr ermöglichen würde. Wer sich darauf trotzdem einlässt, der weiß, was er tut. Er lässt sich auf ein Spekulationsgeschäft ein. Er spekuliert mit vollem Risiko auf ein Geschäft, das es nur gibt, wenn Klimaschutz und Energiewende in Deutschland scheitern.
Es ist ein Unding, dass nun der Freistaat Sachsen bereit steht, genau diese Spekulationsrisiken zu teilen und sie darüber hinaus per Zulassungsbescheid in klimapolitisches Erpressungspotenzial auch gegen den Bund zu verwandeln.

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