Das Hütchenspiel um die „stoffliche Nutzung der Braunkohle“

Jeder Euro, der noch in die Verlängerung des Braunkohle-Zeitalters fließt, ist ein Euro, der bei der Schaffung von tragfähigen Zukunftsperspektiven fehlt.

Das Hütchenspiel ist als eine Form des Trickbetrugs bekannt. Dabei gibt es einen klaren Verlierer: den, der Geld für das Spiel auf den Tisch legt. Denn nach raschem Hin-und Her der Hütchen, unter denen etwas steckt, scheint es am Ende wundersamerweise verschwunden. Weg ist es natürlich nicht. Es hat nur jemand anders.

Genau dazu aber lädt die Braunkohleindustrie mit ihren Protagonisten derzeit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die Politikerinnen und Politiker mit Engelszungen und Heilsversprechen ein. Die versprochene Chance heißt: „Stoffliche Nutzung der Braunkohle“.

Um Politik und Bürgern ihren Einsatz zu entlocken, spielt man zunächst Verstecken mit der CO2-Bilanz. Und das geht so: Man wisse ja, dass bei der Kohleverstromung jede Menge des klimaschädlichen Treibhausgases frei werde. Deshalb habe man verstanden: damit gehe es demnächst zu Ende. Die Kraftwerke gingen vom Netz und damit hätten auch die Emissionen ein Ende. Die Tagebaue schließen müsse man aber trotzdem nicht. Ganz im Gegenteil – man müsse jetzt neue Tagebaue planen und genehmigen! Denn es gäbe ja eine Alternative! Und die bestünde darin, die Kohle nicht einfach zu verbrennen, sondern statt Erdöl zur Herstellung aller nützlichen Dinge vom von Benzin bis zum Spielzeugauto einzusetzen.

Weiter mit der Braunkohle, aber ohne CO2? „Clean Coal“ , saubere Kohle gar, um einen alternativfaktisch von Präsident Trump in die Welt posaunten Begriff zu verwenden?

Das Gegenteil ist der Fall. Denn beim Hütchenspiel gilt nun mal: was man da verschwinden lassen hat, das ist nicht weg. Das hat nur jemand anders. Bei der Kohlechemie wird der fossile Kohlenstoff und wird damit das CO2 im Produkt, ob nun Benzin oder Plastikspielzeug, nur zwischengelagert. Am Ende wird er unausweichlich als fossiles CO2 freigesetzt. Ob nun nach wenigen Tagen oder Wochen aus dem Auspuff eines Verbrennungsmotors oder nach Monaten oder Jahren aus dem Schornstein einer Müllverbrennungsanlage – er landet in unserer Atemluft, in der sensiblen Atmosphäre unseres Planeten.
Ein Großteil dieses Kohlendioxids bleibt Jahrhunderte oder gar Jahrtausende klimawirksam in der Atmosphäre und sammelt sich dort an. Deshalb ist es für die Erderhitzung mittelfristig kein Unterschied, ob es zwischendurch mal ein Spielzeugauto war, oder ob man die Kohle gleich verbrennt.

Das gilt für jedes einzelne Atom Kohlenstoff, das aus der Erde geholt wird. Sei es nun in Form von Kohle, Öl oder Gas. Es wird am Ende als CO2 in der Atmosphäre landen. Nur wird beim Einsatz von Braunkohle als Rohstoff für Herstellung derselben chemischen Produkte viel mehr CO2 frei als in einer Chemie auf Gas- und Ölbasis.

Und deshalb ist dieses Hütchenspiel, dieses scheinbare „Verschwinden lassen“ klimaschädlicher Emissionen, ein besonders tückischer Betrugsversuch.

Das weiß man natürlich in Fachkreisen. Um sich als Wissenschaftler und Ingenieur noch im Spiegel anschauen zu können, hat man Ideen parat, um die Vision der sauberen Kohle irgendwie begründen zu können. Die sind ebenso abenteuerlich und in demokratischen Gesellschaften undurchführbar wie ökonomisch zum Scheitern verurteilt. Mit geeigneten politischen Rahmenbedingungen etwa, so meint man, könne man das CO2 ja aus den Abgasen abtrennen und unterirdisch endlagern. Riesige unterirdische Giftgaslager, die über Jahrmillionen sicher zu sein haben. Derselbe „CCS-Joker“ also, der schon bei der Rettung der Kohleverstromung nicht zog. Und noch phantastischer: mit neuen Hochtemperatur-Atomreaktoren könne man die Kohlevergasung als ersten Prozessschritt der Kohlechemie doch viel energie- und CO2-effizienter machen. Das ist kein Witz. Das ist bitterer Ernst.

Solche Voraussetzungen für eine „saubere“ Kohlechemie werden Politik und Bürgern natürlich nicht auf die Nase gebunden. Die erfahren nur, dass der große Strukturwandel in den Kohlerevieren vielleicht gar kein großer Strukturwandel werden müsse. Man müsse nur viele Millionen in die Kohlechemie stecken und dann könne eigentlich alles so weiter gehen wie bisher. Sogar das alte Kohlekraftwerk werde dann perspektivisch durch ein neues, noch viel Tolleres ersetzbar. Betrieben nicht mehr mit brauner Kohle, sondern mit dem aus brauner Kohle in einem vorgeschalteten Kohlevergasungsschritt gewonnenen Gas. Die Strukturwandelmillionen des Bundes und der Länder müsse man natürlich trotzdem bekommen, und zwar zum Aufbau eben dieser Kohlechemie. Damit man eben weiter baggern könne wie bisher.

Man kann Fördermittel für den Strukturwandel entweder für die Entwicklung neuer Möglichkeiten in der Zeit nach der Kohle investieren oder in das Hinausschieben des Abschieds von der Kohle. Man kann entweder Strukturentwicklung finanzieren oder Strukturkonservierung. Sicher ist nur eins: man kann das Geld nur einmal ausgeben. Wenn es in einer Sackgasse verschwindet, dann ist es am Ende auch weg, ohne dass Zukunftsfähigkeit geschaffen worden wäre.

Und neben dem offensichtlichen Hütchenspielertrick mit den per Kohlechemie „verschwundenen“ Emissionen dann wäre da noch das „kleine“ Problem mit der Ökonomie.
Kohlechemie ist nicht neu. Ihre wesentlichen Verfahren und Konzepte sind zum Teil über hundert Jahre alt. Kohlechemie war vor 50-100 Jahren allgegenwärtig. Doch mit Zugang zu billigem Öl war das vorbei. Ganz ohne politische Ausstiegsvorgaben. Die Kohlechemie verschwand weitgehend, weil sie aufwendiger und teurer war als die organische Chemie auf der Basis von Öl und Gas.
Sie überlebte nur dort und erreichte zum Teil sogar neue Höhen, wo Erdöl aus anderen Gründen keine Option darstellte. Im Embargo-getroffenen Apartheidregime in Südafrika etwa oder in der valutaknappen DDR. Auch in der DDR war Kohlechemie nicht wirtschaftlich. Sie war aber ohne Dollar und Westmark machbar.

Wer jetzt ernsthaft dafür plädiert, viel öffentliches Geld in eine Wiederbelebung der Kohlechemie zu stecken, der muss die Frage beantworten, in welchem Szenario Kohlechemie überhaupt in nennenswertem Volumen auf ein Geschäftsmodell treffen würde.

Selbst dann, wenn das Problem mit der Klimaerhitzung, den Emissionen und künftig steigenden CO2-Preisen gar nicht existieren würde ist sicher:
Solange ein Industriestaat wie die Bundesrepublik Zugang zum Ölmarkt hat, ist die Kohle in der Chemie aus Kostengründen von vornherein aus dem Rennen. In jedem Szenario aber, in dem der Zugang zum Öl abgeschnitten würde, hätten wir ganz andere Probleme als ausgerechnet an den Aufbau einen Kohle-Großchemie zu gehen. Eine großindustrielle Kohlechemie aber unabhängig von der Ökonomie aufzubauen und in einer Art Reserve-Standby zu halten, das ist in jeder Marktwirtschaft völlig undenkbar. Deshalb gäbe es selbst ohne Klimaschutzpolitik schlicht kein Szenario für den Wiedereinstieg in eine Kohlechemie. Schon gar nicht in einem Volumen, das das Offenhalten heutiger Großtagebaue ermöglichen würde.

Für wenige Spezialprodukte und Nischenmärkte könnte Braunkohle noch für eine Weile wirtschaftliche, stoffliche Nutzung erlauben, so wie etwa heute in Sachsen-Anhalt bei der Firma Romonta für Montanwachse. Doch das erfolgt auf dramatisch kleinerem Niveau als in den riesigen Tagebauen für die Stromerzeugung. Doch das hat mit den heutigen Großtagebauen nichts mehr zu tun und ändert nichts am Ende des bisher erlebten Kohlezeitalters.
Es wird abgelöst durch das Zeitalter der nachwachsenden Rohstoffe, der Stoffkreisläufe und der unerschöpflichen Energie aus Sonne und Wind. Fossiles Öl und Gas werden in der Übergangszeit noch eine – wenn auch stetig sinkende – Rolle spielen.

Mit einer aktiven Strukturwandelpolitik schaffen wir uns im „Land der Ingenieure“ die Chance, dieses Zeitalter nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Mit verbissenem Festklammern an einem Bild der Zukunft, das durch Fortschreibung der Vergangenheit entsteht, machen wir uns zum Treibgut in einer globalen Dynamik, die längst Fahrt gewinnt.
Und was ist, fragen die Verfechter eines neuen Kohlechemie-Zeitalters, wenn das Öl zur Neige geht? Wenn es dann immer teurer wird? Bekommt die Kohle eine zweite Chance in der „Zeit nach dem Öl“? Dafür müsse man sich vorbereiten, sagen die Kohleunternehmen. Und vor allem müsse man…..klar: die Tagebaue offen halten und Erweiterungen genehmigen.

Doch das Öl ist aus einem ganz einfachen Grund nicht knapp und wird es auch nie werden. Öl wird deshalb nicht knapp, weil der größte Teil der Ölreserven in der Erde bleiben wird. Sie sind unverbrennbar, wenn uns unsere zivilisatorischen Lebensgrundlagen und das Ökosystem dieses Planeten irgendetwas wert sind. Es gibt viel mehr bekannte Reserven, als wir unter CO2 Freisetzung noch verwenden dürfen. Wir wissen heute: das knappe Gut sind eben nicht fossile Energieträger. Das knappe Gut ist die Deponiefähigkeit unserer Atmosphäre für fossiles CO2.

Deshalb kommt nach dem Ölzeitalter nicht das Kohlezeitalter. Das Ölzeitalter geht zu Ende, lange bevor das Öl alle ist. Es ist geradezu absurd, anstelle des Öls über den Einsatz ausgerechnet von Braunkohle nachzudenken, die deutlich CO2-intensiver ist.

Das Kohlezeitalter in der Chemie ging seit den 50-iger Jahren rasch mit dem Ölzeitalter zu Ende, so wie die Steinzeit mit der Verfügbarkeit geeigneterer, besserer Materialien zu Ende ging. Es wird nach dem Ölzeitalter keinen Rückfall in das Kohlezeitalter geben, so wie die Menschheit bei knapper werdenden metallischen Bodenschätzen nicht wieder beginnen wird, ihre Werkzeuge aus Feuersteinen zu schlagen. Einfach deshalb, weil die Entwicklung inzwischen bessere, billigere und sauberere Alternativen hervorgebracht hat.

Das Ölzeitalter geht zu Ende, weil fossiler Kohlenstoff als CO2 in unserer Atmosphäre die Ökosphäre unseres Planeten und damit die Grundlagen unserer Zivilisation bedroht. Wir können diesem Ende des Ölzeitalters heute optimistisch und ohne Sorge entgegen sehen. Erprobte, massenhaft einsetzbare und inzwischen auch sehr kostengünstige technologische Voraussetzungen stehen bereit, um innerhalb weniger Jahrzehnte auf fossile Kohlenstoffträger weitestgehend zu verzichten.

Das Kohlezeitalter allerdings geht noch deutlich vor dem Ölzeitalter zu Ende. Dazu sind wir alle miteinander gezwungen, wenn wir aus dem Ölzeitalters so allmählich wie möglich raus wollen. Denn nur ein rasches Aus der Kohle lässt uns noch ein paar Jahre länger im Öl- und Gaszeitalter Raum für die großen Aufgaben beim vollständigen Abschied vom fossilen Kohlenstoff. Und die Kohle, heute noch überwiegend für die Stromerzeugung verwendet, lässt sich sehr viel einfacher vollständig durch saubere Alternativen ersetzen als das Öl und das Gas in vielen anderen Bereichen.
Am Ende geht es aber überhaupt nicht darum, eine fossile Kohlenstoffquelle der Chemie gegen eine andere fossile Kohlenstoffquelle auszutauschen. Es geht darum, fossilen Kohlenstoff gänzlich zu ersetzen.

Die organische Chemie hingegen, das ist die Chemie auf Basis von Kohlenstoff, lässt sich nicht ersetzen. Doch der Kohlenstoff dafür lässt sich aus nachwachsenden Rohstoffen, aus Rest- und Abfallstoffen und am Ende sogar aus der Atmosphäre gewinnen. Diese „grüne“ Chemie setzt immer nur so viel CO2 in die Atmosphäre frei, wie zeitnah auch wieder aus dieser entnommen wird.
Das ist einer der Kreisläufe, die seit hunderten Millionen Jahren auf unseren Planeten Leben und Überleben ermöglicht haben. Man darf das getrost als Erfolgsmodell ansehen. Neue Erkenntnisse und Verfahren auf dem Gebiet der Kohlenstoffchemie, die solche Kreisläufe effizient ermöglicht, sind nötig und hoch willkommen.

Die Braunkohlechemie jedoch ist das Gegenteil. Jeder Euro, der noch in die Verlängerung des Braunkohle-Zeitalters fließt, ist ein Euro, der bei der Schaffung von tragfähigen Zukunftsperspektiven fehlt.

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