Fakten, Fakten, Fakten: Nervengift aus Braunkohleverstromung

Das im Jahr 2000 in Betrieb gegangene Braunkohlekraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig wird von Betreibern und Staatsregierung als modern und sauber bezeichnet. Würden jedoch die US-Grenzwerte für das tückische Nervengift Quecksilber im Rauchgas angewendet, müsste es stillgelegt werden und dürfte bis zu einer Nachrüstung nicht wieder in Betrieb gehen. Die Quecksilbermenge von 1160 kg, die dort 2010 ausgestoßen wurde, überschreitet im Abgas die US-Grenzwerte um mehr als das Achtfache. Auch wenn die Quecksilberfracht im Lippendorf-Abgas in den Folgejahren reduziert wurde, liegt sie noch immer weit oberhalb der Grenzwerte, die solche Kraftwerke heute in den USA erreichen müssen und durch Nachrüstung erwiesenermaßen auch erreichen können. Auch 2013 stieß Lippendorf noch immer 410 kg Quecksilber in die Atmosphäre aus. Wie die deutliche Verringerung gegenüber 2010 gemessen oder sogar erreicht wurde, ist bis jetzt völlig intransparent. Die Rohbraunkohle aus dem Tagebau Vereinigtes Schleenhain, mit der das Kraftwerk Lippendorf betrieben wird, hat offenbar nicht nur einen wesentlich höheren Quecksilbergehalt als die Braunkohlen aus anderen sächsischen Tagebauen, sondern dieser schwankt auch noch erheblich.

Auch das modernste Vattenfall-Braunkohlekraftwerk, Block R in Boxberg, hat nach seiner Inbetriebnahme 2012 die insgesamt in Sachsen ausgestoßene Quecksilbermenge  weiter erhöht.

Die Diskussion über das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) schlägt derzeit hohe Wogen. Die Vereinigten Staaten gelten gemeinhin als sorgloser, was den Umgang mit Umwelt, Ernährung und Gesundheit angeht. Viele Menschen befürchten nun, dass im Zuge der Verhandlungen strengere Europäische Standards aufgeweicht werden könnten. Zuweilen erweisen sich die Amerikaner aber auch als besonders entschlossen handlungsfähig, wenn die Wissenschaft besonders kritische Gefährdungen deutlich belegt.

Ein solches Beispiel sind die Gefahren durch das Nervengift Quecksilber. Bereits in äußerst geringen Konzentrationen ist es hoch gefährlich für das Nervensystem von Säuglingen und Kleinkindern. Es bedroht sogar ungeborenes Leben, weil es durch Schwangere an deren heranwachsende Kinder weitergegeben wird und deren Hirn- und Nervenentwicklung bereits im Mutterleib beeinträchtigt. Hellhörig wurde man in den USA, nachdem wissenschaftliche Studien bei dreihunderttausend bis sechshunderttausend Kindern pro Jahr Konzentrationen von Quecksilber im Blut gefunden hatten, die so hoch waren, dass messbare Intelligenzverlusten zu erwarten sind. Diese Erkenntnis, sowie erkannte Zusammenhänge zwischen Aufnahme geringster Quecksilbermengen in der Schwangerschaft und dem späteren Auftreten von ADHS-assoziierten Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern waren Basis für entschlossenes Handeln.

Weil das so ist, gelten in verschiedenen Staaten, darunter den USA, bereits strenge Grenzwerte für den Quecksilber-Ausstoß in die Atmosphäre. Die US-Grenzwerte für den Quecksilbergehalt in Kraftwerksabgasen werden 2016 nochmals verschärft und liegen dann 20-fach niedriger als derzeit in Deutschland.

Die Vereinten Nationen und die Europäische Union bemühen sich seit vielen Jahren, die Produktion und den Ausstoß von Quecksilber einzudämmen. Die Bundesrepublik Deutschland hat 2013 die UN-Quecksilberkonvention (Minamata-Übereinkommen) unterzeichnet, das die Reduzierung der Quecksilberemissionen nach dem besten Stand der Technik zu Ziel hat.

Konkret wurden 2010 durch das Braunkohlekraftwerk Lippendorf vor den Toren Leipzigs 1160 kg Quecksilber in die Atmosphäre abgegeben.  Das lässt sich anhand der im Internet recherchierbaren Daten des Europäischen Schadstoffregisters leicht nachvollziehen. Dieses Quecksilber wurde im Abgas nicht über hohe Schornsteine ausgestoßen, sondern über viel niedrigere Abgasauslässe in den Dampfschwaden der Kühltürme. Teile von Leipzig, sowie die Region Grimma, Wurzen, Eilenburg liegen in Hauptwindrichtungen.

1160 kg – eine reichliche Tonne im Jahr – das klingt nicht sonderlich viel. Deutlicher wird die Dimension, wenn man das mit anderen, offiziell zu Gefahren erklärten Quecksilberquellen in unserer Umgebung vergleicht.

Das Bundesumweltamt warnt, dass nach dem Zerbrechen einer Energiesparlampe in einem geschlossenen Raum alle Personen und Haustiere den Raum für 15 Minuten verlassen sollen. Schwangere und Kinder sollten sich von zerbrochenen Energiesparlampen fern halten. Es sei intensiv zu lüften, denn der Grenzwert für Quecksilber in der Atemluft könne das 20-fache der kurzzeitig zulässigen 0,35 µg/m3 überschreiten. In einem 25 Quadratmeter-Raum kann diese 20-fache Überschreitung schon durch Freisetzen und Verdampfen von 0,5 Milligramm Quecksilber erreicht werden.

Wie viele Energiesparlampen müsste man zerschlagen, um die Quecksilberfracht im Lippendorf-Abgas des Jahres 2010 in 0,5 mg-Portionen freizusetzen? Es sind mindestens 2 Milliarden Energiesparlampen. Das würde genügen, um die gesamte Innenstadt von Leipzig innerhalb des Rings knietief mit Energiesparlampenschrott zu bedecken. Jahr für Jahr.

Das Beratungsunternehmen BZL hat kürzlich im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen eine Studie zur Quecksilberemission aus Kohlekraftwerken in Deutschland erstellt. Sie listet den problematischen Ist-Stand im Detail auf und nennt umsetzbare Optionen zur Verbesserung.

Die Grünen-Fraktion im Bundestag forderte die schwarz-rote Koalition auf, deutlich strengere Grenzwerte für den Quecksilber-Ausstoß einzuführen und sich dabei an den international erreichten Vorgaben zu orientieren.

Der grüne Direktkandidat des Wahlkreises Leipziger Land 1 zur Wahl des sächsischen Landtags, Dr. Gerd Lippold, nimmt dies zum Anlass, auf das Quecksilberproblem direkt vor unserer Haustür hinzuweisen: „Vermeidbare Quecksilberemissionen gehören grundsätzlich vermieden. Die Emission von Quecksilber aus Kohlekraftwerken ist vermeidbar, wie die Nachrüstung bestehender Anlagen in den USA zeigt.

Die unbedingte Pro-Braunkohle-Politik der schwarz-gelbe Landesregierung  wird angesichts dieser Erkenntnisse immer absurder. Weltweit schließen alte Kohlekraftwerke aus Gründen des Emissionsschutzes und der Wirtschaftlichkeit. In wichtigen Industriestaaten weltweit stehen die Zeichen auf Ausstieg aus der weiteren energetischen Nutzung der Kohle, der durch immer strengere Emissionsgrenzwerte vorangetrieben wird.

Die derzeitigen Entscheidungsträger in Sachsen hingegen mühen sich, davor die Augen zu verschließen. Längst wiederlegte Argumente für Braunkohleverstromung, angeblich im Interesse des Gemeinwohls, werden gebetsmühlenartig wiederholt. Für diesen Kampf gegen die Zeichen der Zeit, der jenseits von wirtschaftlicher Vernunft und Verantwortung für künftige Generationen längst ein ideologischer Kampf zu werden droht, setzt man sogar die Gesundheit der sächsischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aufs Spiel. Denn nichts anderes ist der unveränderte Weiterbetrieb der Braunkohlekraftwerke auch als größter Quelle des Quecksilberausstoßes in Deutschland.

Technisch möglich ist heute die Rückhaltung von über 90% des Quecksilbers aus dem Kraftwerksabgas. Das wird in Lippendorf bei weitem nicht erreicht. Die Aufrechterhaltung des Märchens vom „Kostengünstigen Kohlestrom“ hat in Sachsen offenbar noch Vorrang vor dem bestmöglichen Schutz der Gesundheit unserer Kinder.

Die derzeitigen Grenzwerte in Deutschland und in der EU sind ein Kniefall vor Industrieinteressen. Das hat  in besonderem Maße ein Thema für eine verantwortungsbewusste sächsisches Staatsregierung zu sein, weil die schmutzigste Form der Kohleverstromung in besonderem Maße ein sächsisches Thema ist.

Zur Debatte um die angeblich so kostengünstige heimische Braunkohle gehört eben auch, dass hier endlich eine eine ehrliche Diskussion um die Kosten für die Allgemeinheit geführt wird. Es kann nicht sein, dass sich ausländische Investoren von Vattenfall und MIBRAG hier die Taschen füllen und wir hier vor Ort mit unseren Steuern und Beiträgen die hohen Zusatzkosten für unsere Gesundheits- und Sozialsysteme tragen. Eine sächsische Staatsregierung, die wirklich die Interessen der Menschen in Sachsen vertritt, hat dafür zu sorgen, dass diese Kosten auch von den Verursachern getragen werden. Sie hat in besonderem Maße dafür einzutreten, dass unsere Kinder so gut geschützt werden, wie das technisch heute machbar und sinnvoll ist.

 

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