Guten Morgen (2018)

Abgaben auf Eigenverbrauch selbst erzeugten Stroms werden derzeit heiß diskutiert. Wo kann das enden, wenn es konsequent gehandhabt werden soll? Das wird hier fiktiv erlebbar – aus der Perspektive eines freundlichen Mitbürgers im Jahr 2018…

 

„Guten Morgen! Es ist 7 Uhr und du wolltest geweckt werden“  – säuselt mein Smartphone.

„Danke“ sage ich, „was liegt heute an“? „Heute ist Montag, der 7. Mai 2018. Dein erster Termin ist um 9.30 Uhr. Du hast 5 ungelesene Emails und 3 Nachrichten. Darf ich sie vorlesen?“

„Bitte später“ antworte ich der freundlichen Stimme, die so klingt wie in der Werbung zu „…eine Flasche von die Bier, die so schön gekribbelt hat….“ vor Jahren. Hab ich so eingestellt. Für die gute Laune am Morgen. Da kann man doch gar nicht barsch antworten.

„Wie wird das Wetter?“ frage ich nach. „Früh sonnig, starke Windböen. Im Laufe des Tages sind auch Orkanböen möglich. Am Nachmittag besteht Aussicht auf unwetterartige Gewitter mit Hagelgefahr. Höchsttemperaturen bei 32 Grad“.

Gut, denke ich, das vertreibt die Kameradrohnen. Schlecht, denke ich, heute Nachmittag wollten wir doch mit den Nachbarn draußen feiern und die beim letzten Sturm abgerissene Tarnfolie der Solarmodule auf unserem gemeinsamen Geräteschuppen wieder fest verspannen. Es stürmt immer öfter in letzter Zeit. Wir werden das besser befestigen müssen.

„Möchtest du 8 Uhr-Nachrichten hören?“ meldet sich das Stimmchen neben dem Bett wieder. „Ja“ – und schon ertönt eine weniger freundliche Sprecherstimme mitten im Satz: „….die durch Bundeskanzlerin von der Leyen ausdrücklich unterstützt wird. Mit diesem Maßnahmenpaket aus dem Wirtschafts- und Energieministerium solle der immer mehr ausufernden Entsolidarisierung beim Thema Energiekosten noch entschlossener entgegen gewirkt werden. Gabriel hätte in seiner Pressekonferenz die gemeinsame Position der Bundesregierung klar benannt. Die Bundesregierung stehe wie bislang dazu, dass den Erneuerbaren Energien die Zukunft gehöre. Heute käme es zunächst darauf an, das bestehende Energieversorgungssystem so zu stabilisieren, dass weitere Schritte in diese Zukunft ohne schwerwiegende Verzerrungen möglich würden. Vorrangig sei dabei eine detaillierte Bestandsaufnahme der bestehenden Erzeugerstruktur. In diesem Zusammenhang wies von der Leyen auch Kritik an einem 200 Millionen Euro – Auftrag aus dem Ministerium an die Airbus Group zurück, der ein Vorprojekt für einen neuen Satelliten zur hochauflösenden Erderkundung umfasst. Der anhaltende Widerstand gegen Tornado-Einsätze der Bundeswehr zur Luftaufklärung auch über dicht besiedelten Gebieten, für den sie wegen der Geräuschbelastung volles Verständnis hätte, habe da gar keine andere Wahl gelassen, erklärte die Bundeskanzlerin, die das Verteidigungsressort bis ins letzte Jahr noch selbst geleitet hatte.“

Werde mit den Nachbarn reden müssen. Gleich nach meinem Vormittagstermin. Das wird jetzt echt langsam zu heiß. Und der Schaden hält sich in Grenzen. Wir hatten ja schließlich drei gute Jahre, in denen wir tausende von Kilowattstunden selbst erzeugt und in unseren Stromrechnungen gespart haben. Und nun legt Vattenfall sogar ab Juni ein Entschädigungsprogramm auf. Solarmodule aus privaten Anlagen werden zu immerhin 71 Cent je Wattpeak aufgekauft und kostenlos entsorgt. Befristet bis Ende des Jahres ist zudem noch völlige Straffreiheit für hinterzogene Eigenverbrauchsabgabe zugesichert, wenn illegale Anlagen selbst noch vor ihrer Aufdeckung angezeigt, rückgebaut und per Entsorgungsnachweis beseitigt werden.

Naja, die Nachbarn haben immer so ein schlechtes Gewissen wegen dem ganzen Müll. Aber sogar daran haben die bei dem Vattenfall-Angebot gedacht! Mit RWE zusammen machen sie das ganz transparent. Die geschredderte Polymerverkapselung von den Modulen wollen sie als Zufeuerung in ihren Kohlekraftwerken einsetzen. Das ersetzt sogar einen Teil der Braunkohle und spart Kohlendioxid!! Und in einem Projekt vom Forschungsministerium haben die ein Verfahren entwickelt, mit dem sie aus dem Glas und aus dem Silizium besonders sauberen Sand machen können – für die Badestrände an den Tagebaurestlöchern. Soll nochmal einer sagen, es gäbe nicht mehr genug Innovation in Deutschland.

Da kämen wir echt nochmal mit heiler Haut und mit einem guten Gewissen davon, wenn wir uns das illegale Zeug jetzt schnell vom Halse schaffen. Ich muss mit den Nachbarn reden.

Drei Straßen weiter hatten sie nicht so viel Glück. Da stand erst letzte Woche eine Truppe vom Zoll in Zivil mit Durchsuchungsbefehl vor der Tür und hat den Leuten auf den Kopf zu  gesagt, dass sie eine 55 Quadratmeter große PV-Anlage auf dem Hinterhaus betreiben, ohne Eigenverbrauchsabgaben zu zahlen. Jetzt müssen die die Anlage abbauen, für mehrere Jahre Abgaben nachzahlen und eine Strafe in doppelter Höhe noch obendrauf. Wollten aber auch unbedingt schlauer sein, die Leute. Nicht mal die einfachste Tarnfolie wollten die benutzen, obwohl die kaum zehn Prozent  vom Ertrag schluckt. Wollten unbedingt die Auseinandersetzung provozieren! Wenn das nur genug Leute so machen würden, dann werde der Staat das nicht handhaben können, meinten sie! Naja, jetzt haben sie den Salat. Hat jedenfalls einige Aktivitäten auf den Dächern in der erweiterten Nachbarschaft ausgelöst, die Aktion. Spricht sich schließlich rum. Und die Kameradrohnen sind ja auch nicht zu übersehen.

Im Nachbarort haben sie jetzt eine neue Drohne getestet. Die flog eine Runde um den Kamin der Gasheizung, setzte dann mal kurz neben dem Keller auf dem Gras auf und spießte einen winzigen Akustiksensor in den Boden, um nach einem schwachen, aber verräterischen Brummen zu lauschen. Am nächsten Tag stand die Truppe in Zivil vor der Tür. Eine Woche später wurde ein Mini-BHKW rausgetragen. Illegal betrieben zur abgabenfreien Stromerzeugung!

Manchmal schießen die Behörden schon über das Ziel hinaus. Da stand erst gestern der Fall in der Zeitung, wo sie einer Familie eine Zahlungsaufforderung geschickt haben. Strafzahlung und Nachzahlung für hinterzogene Eigenerzeugungsabgabe! Die waren aufgefallen, weil sie innerhalb eines Jahres ihren Stromverbrauch halbiert hatten. Das sei ausreichendes Indiz für den Verdacht, dass die Leute unangemeldet Eigenstrom produziert hätten, schrieb die Behörde. Die Leute konnten sich dann damit rechtfertigen, dass die kleine Tochter im Vorjahr in ihrem geliebten Baumhaus heimlich wochenlang einen Elektroheizer laufen lassen hatte. Der brannte irgendwann durch. Das gab einen enormen Einspareffekt. Naja, einen Anwalt und ein Gutachten mussten die schon noch bezahlen, bevor die Behörde es nach einer Verwarnung dabei bewenden ließ.

Ich hab echt keine Lust auf das Gespräch. Die Nachbarn werden wieder diskutieren wollen. Die Module seien doch selbst bezahlt und auf eigenem Grund und Boden betrieben und wir entlasteten doch damit die Netze und würden von niemandem auch nur einen Cent haben wollen für den Strom, den wir da erzeugten. Das sei doch für die Außenwelt nichts anderes, als ob wir Strom sparen würden.

Die begreifen das einfach nicht! Wenn die eigenen Hanf im eigenen Garten anbauen und in der eigenen Pfeife rauchen, ist das doch trotzdem strafbar. Weil es das Gesetz eben so will!

Dabei hat’s doch erst gestern der neue Staatssekretär vom Gabriel noch mal ganz deutlich gesagt. Deutschland ist ein Industrieland und auf eine sichere, bezahlbare Stromversorgung angewiesen. Die Kraftwerke und die Netze stehen da und müssen bezahlt werden, sagte der. Ist doch klar. Das kostet Geld. Und je weniger Kilowattstunden verbraucht würden, desto teurer werde halt die Kilowattstunde. Ist doch auch klar, oder? Und wenn die Kilowattstunde zu teuer werde, dann gingen halt alle unsere klugen Unternehmen woanders hin und vorbei wäre es mit uns als Industrieland. Also müssten wir genug Strom verbrauchen und genug dafür bezahlen. Genug, damit sich die Kraftwerke und Netze für die Energieversorger und Netzbetreiber rechnen. Denn die seien „systemrelevant“, meinte der neue Staatssekretär und müssten ebenso entschlossen geschützt werden wie die Banken seinerzeit in der Finanzkrise. Also müsse genug Strom verbraucht und ehrlich bezahlt werden, meint der Staatsekretär. Und um das zu erreichen, fange man eben erst mal bei jenen unsolidarisch denkenden und handelnden Zeitgenossen an, die ihren Strom einfach selbst erzeugen wollten und damit der Solidargemeinschaft schadeten. Man sei dabei auf die Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Auch anonyme Anzeigen könnten dem Gemeinwohl sehr hilfreich sein.  Wenn man damit jedoch nicht ausreichend erfolgreich sei, so müsse man ernsthaft erwägen, zu einer Strom-Mindestabnahmemenge je Person im Haushalt überzugehen. Ersatzweise zu einer Stromabnahmeschätzung, wenn bei der Ablesung in einem Haushalt weniger als die erwartete Mindestmenge auf dem Zähler erscheine. Das wolle man doch im Interesse aller ehrlichen Stromkunden in diesem Land mit aller Kraft zu vermeiden versuchen!

Die Menschen in unserem Lande würden das verstehen, meinte der neue Staatssekretär vom Gabriel, weil es ja der Sicherheit und der Bezahlbarkeit unserer Stromversorgung diene. Den Erneuerbaren Energien gehöre die Zukunft. Da seien wir uns alle einig. Deshalb müsse die Brücke, über die wir die Energieversorgung von morgen erreichen können, erhalten und gepflegt werden.

Ich werde dringend mit den Nachbarn reden müssen!

Wer weiß, wohin das noch führt. Erst vorgestern war ein Verbandsvertreter von irgendeinem Obst- und Gemüseproduzentenverband im Interview. Der verglich doch glatt die Lage seiner Mitgliedsunternehmen mit der Situation in der Stromwirtschaft. Wenn immer mehr Leute in egoistischer Selbstverwirklichungsabsicht dazu übergingen, ihre Tomaten auf dem Balkon selbst zu züchten und ihre Äpfel im Garten zu pflücken, so werde das für alle verbleibenden Obst- und Gemüsekunden am Ende die Preise erhöhen. Schließlich müsse man ja die Versorgungssicherheit mit Obst und Gemüse im Einzelhandel ständig absichern. Das koste eben Geld. Der Verband diskutiere deshalb einen Vorschlag, die laufenden Drohnenüberwachungsprogramme der Energieerzeugung auch auf den ungeregelten Eigenanbau von Obst und Gemüse auszudehnen.

Ich werde dringend mit den Nachbarn reden müssen. Man sollte es nicht überreizen. Ohne das Gemüsebeet sieht der Garten auch viel ordentlicher aus. Und wir haben mehr Platz für das Kinderplanschbecken. Obwohl….. das Ding ist aus der Luft leicht sichtbar und den öffentlichen Freibädern fehlen auch in den letzten Jahren immer mehr die zahlenden Kunden…..

Ich werde dringend mit den Nachbarn reden müssen. Am besten noch vor meinem 9.30 Uhr Termin. Liebes Smartphone, Entspannungsmusik bitte für das Frühstück!

 

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