„Um jeden Preis“? – Gedanken zum Fukushima-Jahrestag

„Um jeden Preis“? – Gedanken zum Fukushima-Jahrestag zu nuklearen Plänen in unserer Nachbarschaft.

In diesen Tagen jährt sich zum vierten Mal die Reihe katastrophaler Störfälle mit  Kernschmelzen in vier von sechs Reaktoren im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi. Während in Deutschland der Atomausstieg breiter Konsens geworden ist, gibt es in unserem Nachbarland Polen Pläne zum Neueinstieg in die Kernkraft. Das bringt die Debatte auch in Sachsen unvermeidlich wieder auf die Tagesordnung.

Wie schon in der frühen, zivilen Kernkraftnutzung ist auch bei den heute vorangetriebenen Kernkraftprojekten in Polen der fatale Planungsansatz zu beobachten, die Mitgliedschaft im elitären Klub der „Beherrscher des nuklearen Feuers“ als eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit eines ganzen Staates und somit als Ziel von vorrangigem nationalem Interesse zu sehen. Zu oft schon hat das dazu geführt, dass solche Projekte faktisch „gesetzt“ waren, bevor ein ergebnisoffenes Planungsverfahren überhaupt startete.  Die Durchsetzung erfolgte dann „um jeden Preis!“ und mit passend gemachten Konzepten von  „Auslegungsstörfällen“.

Beide Strategien haben drastische Konsequenzen. Nach dem Motto „um jeden Preis“ wird derzeit in Großbritannien das Projekt zu Neubau von zwei Kernreaktoren im Kernkraftwerk Hinkley Point vorangetrieben. Investoren dafür fanden sich erst, als ihnen eine garantierte Einspeisevergütung von etwa 12 Cent je Kilowattstunde für die Dauer von 35 Jahren zugesichert wurde – mit vollem Inflationsausgleich über die gesamte Zeit! Zum Vergleich: eine Fotovoltaikanlage in Deutschland auf Nichtwohngebäuden und Freiflächen liefert bereits heute Strom für eine Vergütung von 8,65 Cent für 20 Jahre – ohne Inflationsausgleich. Die Windkraft an Land ist noch günstiger. Beide regenerativen Energiequellen durchlaufen eine rasante, positive Lernkurve und werden stetig billiger.

Die Kernkraft hat dagegen seit 60 Jahren eine negative Kostenlernkurve durchlaufen. Je mehr man über ihre Risiken herausfand, desto teurer wurde sie. Das ist geradezu ein klassisches Merkmal von Sackgassen-Technologien. Werden sie trotzdem weiter beschritten, dann mit Motiven, die sich nicht allein aus wirtschaftlicher Vernunft ableiten lassen.

Solche Motive stehen auch im Hintergrund, wenn für Hochrisikotechnologien „Auslegungsstörfälle“ definiert werden. Damit werden Grenzen der Störfallbeherrschung so gezogen, dass das unbedingt gewollte Projekt gerade noch profitabel machbar bleibt. Die Durchsetzung erfolgt unter Inkaufnahme eines bewusst von Menschen festgesetzten Grenzrisikos.

Das wurde Zehntausenden Menschen in Japan zum Verhängnis und verursachte Schäden in Höhe von mindestens 150 Mrd. Euro. In Deutschland ist übrigens jedes Kernkraftwerk in Höhe von 256 Mio. Euro, also knapp 0,2 Prozent der Fukushima-Mindestschadensumme, haftpflichtversichert. Darüber  hinaus geben hierzulande alle Kernkraftbetreiber gemeinsam eine Garantiezusage für bis zu 2,5 Mrd. Euro, also 1,6 Prozent eines Fukushima-Schadens.

Die genauere Betrachtung zeigt jedoch die Konsequenzen der ökonomisch motivierten Handhabung des „Grenzrisikokonzeptes“. Da baute man Kernkraftwerke ans Meer, um einige Tausend Megawatt thermischer Leistung so kostengünstig wie möglich weg zu kühlen. Und man baute sie in die Nähe einer Kontinentalplattengrenze, die zu den tektonisch aktivsten Gebieten der Erde gehört. Erdbeben mit Tsunamis waren also ein durchaus wahrscheinliches Bedrohungsszenario für die Anlage. Soweit zur Aussage, hier wären zwei unwahrscheinliche Naturkatastrophen unglücklich zusammengetroffen.

Dies zeigt, wo das eigentliche Problem liegt. Es liegt nicht in den Naturkatastrophen oder in der Technik. Es liegt in der Gestaltung von Genehmigungsverfahren und Risikomanagement. Nur, wenn solche Verfahren ergebnisoffen geführt werden, ergeben sie überhaupt einen Sinn.

Wenn eine Anlage unter strikter Anwendung der bestmöglichen und verbindlichen Risikoabwehrmaßnahmen an einem Standort ökonomisch nicht sinnvoll ist, dann ist sie dort schlicht nicht genehmigungsfähig!

Wenn dagegen die Errichtung sowie der Betrieb der Anlage dort aus übergeordneten Erwägungen quasi gesetzter Wille sind, dann sieht Risikomanagement ganz anders aus. Dann wird im besten Falle  so viel Sicherheit vorgesehen, wie es ökonomisch gerade noch akzeptabel erscheint.

Zurück zu unserem Nachbarland: Polen sichert seine Stromversorgung heute zu über 90 Prozent aus einem gealterten Kohlekraftwerkspark. Anders als in Deutschland, wo wir uns mit der „Energiewende“ auf den Weg in die Zukunft unserer Energieversorgung gemacht haben, suchen unsere Nachbarn noch nach einer Strategie. Auch wenn polnische Politiker in Europa besonders hartnäckigen Widerstand gegen wirksamen Klimaschutz leisten, ist ihnen klar: langfristig geht daran kein Weg vorbei. Die Kohle ist auf dem Rückzug. Die einstmals große Hoffnung der „CCS“-Technik, die Abtrennung und unterirdische Verpressung von Kohlendioxid, hat sich vor allem wirtschaftlich als Flop herausgestellt. Die energiepolitische Abhängigkeit von Russland ist bereits heute sehr groß, auch bei der Kohle. Während polnische Gruben aus Kostengründen schließen, kommt die Steinkohle für die polnischen Kraftwerke zunehmend vom östlichen Nachbarn.

Gangbarer Ausweg für Energiekonzerne und Politik scheint da die Kernkraft. Und so wird die Kernkraft in Polen zum politisch gewollten Projekt, obwohl das Land nie zuvor ein Kernkraftwerk betrieben hat.

Angesichts der gut bekannten astronomischen Kosten neuer Reaktorprojekte in Großbritannien, Finnland und Frankreich, angesichts der langjährigen Bauverzögerungen selbst an Standorten, an denen man bereits große Erfahrungen mit dem Kernkraftwerksbetrieb hat, erscheinen solche Pläne als geradezu absurd. Dennoch werden sie verfolgt, weil sie politisch gewollt sind und von ihren Protagonisten vielleicht sogar als „alternativlos“ empfunden werden.

Am vierten Jahrestag des nuklearen Desasters von Fukushima sollten die politisch Handelnden vor allem eine Lehre ziehen: politischer Durchsetzungswille aus der „Koste-es-was-es-wolle“-Kiste hat als Ausgangspunkt für die Realisierung von Risiko-Projekten wie Atomkraftwerken mehrfach katastrophal versagt. Sachsens Staatsregierung stünde es gut zu Gesicht, gegen die Pläne Stellung zu beziehen, wie es das Land Brandenburg getan hat. Stattdessen antwortet die Regierung auf eine Anfrage im Landtag, ihr stehe eine Bewertung der polnischen Pläne eines Neueinstiegs in die Kernenergie nicht zu. Ist es Desinteresse oder gibt es dafür andere Gründe? Oder keimen bei einigen Politikern und Forschern hierzulande die Hoffnungen, für ihre nuklearen Zukunftsträume nun wenigstens im Nachbarland eine Entwicklungsplattform zu finden? An Technologien für neue, gasgekühlte Hochtemperatur-Kernreaktoren der IV. Generation wird auch in Dresden geforscht und zwar bis in jüngste Zeit mit Staatsgeldern. In ihrem Strategieplan zu Technologien mit geringen CO2-Emissionen beschreibt die EU-Kommission neben Initiativen zu allen regenerativen Energieformen auch Ziele für Kernreaktoren der IV. Generation. Ausgerechnet dem Direktor des polnischen nationalen Zentrums für Kernforschung hat die sächsische Staatsregierung schriftlich ihr Interesse zur Zusammenarbeit im Rahmen  dieses Planes bekundet.

Wer trotz unabsehbar großer Klima- und Umweltrisiken eine festgefahrene Braunkohlestrategie durchsetzen will, der kann wohl auch beim Thema Atomkraft nicht aus Erfahrungen lernen.

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld