Vom Reiten eines toten Pferdes

Sachsen produziert heute viel mehr Braunkohlenstrom, als es selbst benötigt. Weil dieser Strom mangels Flexibilität auch dann eingespeist wird, wenn Sonne und Wind große Teile unseres Strombedarfes decken, entstehen gravierende Verwerfungen am Strommarkt.

Dieser Braunkohlenstrom ist derzeit ein Exportschlager. Möglich durch eine Kostenkalkulation, die die immensen volkswirtschaftlichen Kosten der Kohleverstromung nicht in den Erzeugungskosten abbildet. Gezahlt werden müssen sie natürlich trotzdem, denn es sind ganz reale Kosten.

Wir alle stützen so mit unseren Steuergeldern und Sozialabgaben künstlich niedrige Börsenpreise für Braunkohlenstrom. Das ist heute so – doch das wird ganz sicher nicht so bleiben. Zu groß sind mittlerweile die Mehrheiten in der Gesellschaft gegen die Fortsetzung der längst nicht mehr alternativlosen Klima-, Umwelt- und Landschaftszerstörung großen Ausmaßes – trotz aller Desinformationskampagnen der Kohlelobby und ihrer Vertreter in der Politik. Zu entschlossen sind inzwischen die Vorstöße in westlichen Industrienationen, schnellstmöglich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Zu groß ist die Gefahr – ja, aus Sicht der Kohleprotagonisten ist das tatsächlich eine Gefahr! – dass die internationale Gemeinschaft beim Klimaschutz doch endlich entschlossener vorankommt.

Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, dann steig ab! Den Dakota-Indianern wird diese alte Weisheit zugeschrieben.  Irgendwie erstaunlich, dass eine so simple Erkenntnis sich in einem eigenen Sprichwort manifestiert hat.

Jeder weiß aus Erfahrung, was damit gemeint ist. Offenbar ist es nicht so leicht, gewohntes Denken und Handeln zu ändern, wenn die Verhältnisse sich gravierend verändern. Zu akzeptieren, dass Dinge heute falsch sein könnten, die vor wenigen Jahren noch ganz richtig schienen. Niemand mag gern zugeben, auf einem toten Pferd zu sitzen. Schon gar nicht, wenn er erst vor kurzem heftig in das Pferd investiert und sich selbst darauf gesetzt hat.

Wenn der Reiter daneben noch Deutungshoheit hat, dann liegt die Versuchung nicht fern, das Ableben des Reittiers ganz einfach zu ignorieren. Außerdem: ist das eigene tote Pferd nicht irgendwie trotzdem noch schöner und besser und billiger tot als andere tote Pferde?

Die ganz harten Reiter mögen versuchen, neue Verwendungen für das tote Pferd zu finden. Wie wär’s, wenn es demnächst den Karren des Nachbarn zöge? Das geht besonders gut, wenn dem Karren des Nachbarn ohnehin ein Rad fehlt.

Genau darauf läuft hinaus, was Georg Ludwig von Breitenbuch, energiepolitischer Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, in seiner Pressemitteilung vom 20.7.2014 anregte.

Er sieht in einer engen Partnerschaft Sachsens mit Bayern eine Möglichkeit, den dortigen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 auf dem Gebiet der „kontinuierlichen Deckung der Grundlast“ zu begleiten. Was nichts anderes heißt, als den Atomausstieg in Bayern mit sächsischer Hilfe in einen massiven Braunkohlestrom-Einstieg zu verwandeln. Die neuen Hochspannungstrassen, die angeblich für die ach so teuren Erneuerbaren Energien notwendig werden, sollen dann den schmutzigen Überschuss-Strom aus Mitteldeutschland nach Bayern transportieren und auch in Bayern die Energiewende zurück ins letzte Jahrhundert führen.

Darauf warten die Bürgerinnen und Bürger in Bayern gerade. Der Widerstand gegen den Trassenbau erreicht soeben neue Höhen – getrieben auch von der Angst, damit dem Klima- und Umweltfrevel der Kohleverstromung Vorschub zu leisten. Diese Initiativen werden es Herrn von Breitenbuch danken, dass sie dafür nun zitierfähige Belege aus der Dresdener Regierungskoalition in den Händen halten.

Die Freude über „kontinuierliche Deckung der Grundlast“ durch sächsischen Braunkohlestrom in den nächsten Jahrzehnten hält sich bei den Nachbarn durchaus in Grenzen. Auch in der Schweiz gewinnt derzeit eine „Dreckstrom-Initiative“ an Fahrt, die eine Art Steuer auf Stromimporte aus Kohle und Atom erheben möchte, um deren Folgeschäden einzupreisen.

Der letzte amtierende FDP-Wirtschaftsminister in Sachsen hingegen reitet das Pferd nicht nur, er reitet es in Don Quijote-Manier noch zur Attacke gegen die Windmühlenflügel. Wer seinen Cervantes gelesen hat, der weiß, dass einen das ganz unsanft aus dem Sattel heben kann.

Das Geschäftsmodell der Braunkohleverstromung hat keine Zukunft. Je früher Sachsen bereit ist, vom toten Pferd abzusteigen und sich entschlossen darum zu kümmern, wie man in Zukunft vorwärts kommt, desto besser ist das für uns alle. Auch für die Menschen in den Kohleregionen, weil dann endlich alle Kräfte gebündelt werden können, um genau dort den notwendigen Strukturwandel voranzubringen und echte Zukunftsperspektiven zu öffnen.

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld