Welch eine Seehoferei, Herr Tillich!

Wenn‘ s um seine „Die Haltung zur Kohle“ geht, fürchtet Tillich weder den Papst noch unseriöse „Gutachten“

Ministerpräsident Tillich sieht seine Haltung zur Braunkohle bestätigt. Genau das war ja auch das Ziel eines „Gutachtens“, die der Berliner Professor Erdmann für die Staatskanzlei erstellt hat (http://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/198253/assets ).

Es ist nicht seine erste Auftragsstudie dieser Art für die sächsische Staatsregierung. Als es darum ging, im Auftrag der Staatsregierung eine Rechtfertigung für den Braunkohleplan zur Erweiterung des Tagebaues Nochten und zur Umsiedlung weiterer 1700 Menschen zu erstellen, war Prof. Erdmann bereits zu Diensten. Andere renommierte Forscher, u.a. vom Deutschen Institut der Wirtschaft (DIW) hielten und halten das Vorhaben energiewirtschaftlich für völlig überflüssig und wirtschaftlich im Zuge der weiteren Energiewende für aussichtlos. Über Klagen gegen den Braunkohleplan hat demnächst das Oberverwaltungsgericht zu entscheiden. Das  ist sowohl Erdmann als auch Tillich egal. Gutachten bestellt, Gutachten wie bestellt geliefert. Kürzlich schien es noch, als ginge die Staatsregierung selbst auf Distanz zu den ehemals wunschgemäß zusammengestellten Zahlen des Berliner Professors in der Rechtfertigungsstudie zum Braunkohleplan. Er hatte dort unter anderem künftige Kraftwerksauslastungen prognostiziert und blockgenau den künftigen Kohleverbrauch aufgeschlüsselt. Auf eine parlamentarische Anfrage (Drucksache 6/1156) meinerseits allerdings, wie sich eine Außerbetriebsetzung zweier alter Blöcke des Kraftwerks Boxberg  auf Kohleverbrauch und die zeitliche Reichweite der Kohle aus dem existierenden Abbaufeld auswirken würde, konnte mir Staatsminister Dulig trotz vorliegender Erdmann-Zahlen keine Antwort geben. Hätte er aber gekonnt, wenn die Regierung noch an die Erdmann-Studie geglaubt hätte, denn daraus lässt sich das direkt ablesen.

Angesichts des nun vorliegenden neuen „Gutachtens“, mit dem sich Tillich bestätigen lassen wollte, dass ausgerechnet Sachsen sich im Gegensatz zum Rest der Welt nicht bewegen muss, wird nun klar: Man verlässt sich nicht nur erneut auf dieselben Prognoseansätze, man überdehnt sie nun ins Groteske. Das „Gutachten“ ist nicht nur schwach in seiner Faktenbasis, es ist auch gespickt mit unmittelbaren politischen Interpretationen und es enthält grundlegende handwerkliche Fehler, die die Gesamtaussage entwerten.

  • Das „Gutachten“ geht bereits im Ansatz von einer fehlerhaften Datenbasis aus. Der prognostizierte Ausbaugrad Erneuerbarer Energien wird darin durch Verwendung einer veralteten Datenbasis gezielt unterschätzt. Sowohl Herrn Erdmann als auch MP Tillich dürfte klar sein, dass es seit Dezember 2014 einen neuen, genehmigten Szenarienrahmen der Bundesnetzagentur für die Netzentwicklungsplanung gibt. Stattdessen verwendet das „Gutachten“ die überholten Zahlen aus der Planung von 2012. Der aktuelle Szenarienrahmen aus dem Jahr 2014 sieht nämlich in allen Szenarien bereits für 2035 Ausbauzahlen vor, die nach Herrn Erdmanns Annahmen auch in 2040 bei weitem noch nicht erreicht wären. Wie will Tillich die Aussagen eines auf überholten Annahmen aufgebauten „Gutachtens“ für weitreichende strategische Entscheidungen verwenden?
  • Das Erdmann-„Gutachten“ macht zur Rechtfertigung seiner Aussagen zur prognostizierten Marktsituation bei flexiblen Kraftwerkskapazitäten außerdem die Annahme, dass es keine politischen Steuerungseingriffe (z.B. Klimabeitrag, Kapazitätsmarktmechanismen) geben werde. Unter dieser Annahme leitet Erdmann dann am Ende des „Gutachtens“ die Aussage her, dass eben solche Maßnahmen nicht erforderlich seien. Das ist ein so offensichtlicher und geradezu klassischer Zirkelschluss, dass es verwunderlich ist, dass die Staatskanzlei dem Professor das Papier in dieser Form überhaupt abgenommen hat. Es ist wirklich kein Ruhmesblatt, wenn ein vom Ministerpräsidenten an die Öffentlichkeit getragenes Gutachten derart offensichtliche logische Fehler aufweist, noch dazu bei Tillichs zentraler politischer Botschaft des Erdmann-Papiers! Gibt es keine politischen Steuerungseingriffe in das heutige Strommarktdesign, so wird es kein Geschäftsmodell für all die sauberen, flexiblen Erzeugungs- und Regelkapazitäten geben, die zum Funktionieren der Energiewende notwendig sind. Auch für die selbst in Sachsen geförderten Speicher nicht. Erdmann setzt also nichts weniger als eine Energiewende in der Sackgasse voraus, wenn er seine Annahme macht. Unter dieser Voraussetzung schlussfolgert er, es brauche dann keine weiteren Eingriffe, um die Braunkohle in Sachsen bis 2062 laufen zu lassen…
  • Die Annahmen des „Gutachtens“ zu den künftigen Volllaststunden der Braunkohlekraftwerke lassen die künftig erforderliche Fahrweise des konventionellen Kraftwerksparks außer Acht. Bereits ab etwa 45% Erneuerbare Energien im Strommix (heute haben wir etwa 30%) ist die Residuallast, also die durch konventionelle Kraftwerke zu liefernde Leistung, immer öfter im Jahr gleich Null. Dann steht die Frage, ob unser Braunkohlekraftwerkspark geeignet ist, im Leistungsbereich 0-100% immer häufiger, zunehmend auch mehrfach am Tag, flexibel einzuspringen. Das kann unser Braunkohlenkraftwerkspark ganz eindeutig nicht! Erdmann nimmt dagegen an, dass sich das durch eine gewisse Zahl von Stunden eines gemittelten Teillastbetriebes beschreiben ließe. Selbst wenn das keine unzulässige Vereinfachung wäre, bliebe immer noch der Fakt, dass häufiger Teillastbetrieb den gepriesenen Wirkungsgrad reduziert und damit CO2-Einspareffekte zum Teil wieder auffrisst.
  • Auch dieses „Gutachten“ bringt zum Vergleich mit der Kohlestromstromerzeugung etwa im Rheinland das von Tillich bereits wiederholt geäußerte Argument vor, wir hätten in Sachsen unser bundesweite Einsparziele bereits geschafft. Dabei wird als Ausgangspunkt der Betrachtung für Sachsen die CO2-Emission der DDR-Braunkohlewirtschaft in 1990 angenommen. Den Zusammenbruch der ineffizienten und maroden DDR-Energiewirtschaft rechnet sich Tillich somit als Erfolg sächsischer Klimaschutzanstrengungen an. Selbst wenn ein Ministerpräsident Tillich in seiner Leitungsfunktion im ehemaligen Rat des Kreises Kamenz möglicherweise mehr zum Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft beigetragen hat als ein einfacher Bergarbeiter, ist dieser Bezugspunkt völlig an den Haaren herbei gezogen. Im Jahr 2015 zählt der Fakt, dass wir in Sachsen noch immer etwa 30% mehr CO2 pro Kopf in die Luft blasen als im bundesdeutschen Durchschnitt. DAS ist der Maßstab für den Handlungsbedarf. Überhaupt auf die Idee zu kommen, wir könnten diese Diskrepanz in den nächsten Jahren durch ein „weiter so“ bis mindestens 2030 – wie das „Gutachten“ annimmt – noch massiv zu unseren Ungunsten vergrößern, zeigt den Grad der Realitätsverweigerung.
  • Das „Gutachten“ geht zwar selbst davon aus, dass noch bis 2030 praktisch überhaupt keine CO2-Reduzierung in Sachsens Braunkohlewirtschaft stattfindet und auch bis kurz vor 2050 Jahr für Jahr viel mehr ausgestoßen wird, als es einem linearen Reduzierungspfad entspräche. Dennoch werde ja nach 2050 die bundesweite Zielgröße angestrebt und das sei ja maßgeblich. Weil bis dahin die Kraftwerke von selbst vom Netz gingen, brauche man auch keine politischen Eingriffe. Ja sind denn hier Experte und Ministerpräsident von allen guten Geistern verlassen? Je früher eine Tonne CO2 eingespart wird, desto stärker wirksam ist das für die Minderung des weiteren globalen Erwärmungstempos! Weil das jedermann – außer Professor Erdmann und der sächsischen Staatsregierung – klar ist, deshalb diskutieren derzeit Wissenschaft und Politik über RASCHE Reduzierungsoptionen, über ein Ziel bis 2020! Rasche Reduzierungen sind genau dort machbar, wo große Emittenten rasch abgeschaltet werden können. Dass man sich dazu aus volkswirtschaftlichen Gründen Teile des abgeschriebenen Kapitalstocks aussucht, liegt auf der Hand. Deshalb geht es selektiv um die ältesten und schmutzigsten Kraftwerksblöcke. Dass es bei Braunkohlekraftwerken außerdem noch eine bedeutende Überkapazität im Strommarkt gibt und diese auch in der sonstigen volkswirtschaftlichen Schadensbilanz ganz besonders schlecht abschneiden, macht die Entscheidungsgrundlage noch begreiflicher.

 

Noch einmal ganz deutlich: Es geht heute vordringlich um SCHNELLE, initiale Senkung der CO2-Emission. Global und damit auch in Sachsen.  Am Anfang ist das sogar einfacher, weil es sich durch Abschaltung der schlimmsten, ältesten Dreckschleudern erreichen lässt. Je früher wir das schaffen, desto mehr Zeit verschaffen wir uns für später, wenn die weitere Reduzierung dann auch tief in den Ölverbrauch von Verkehr und Wirtschaft eingreifen muss und sehr viel schwieriger von statten geht. Je länger wir jetzt zögern, desto gravierender und einschneidender müssen die Maßnahmen später werden, um den 2-Grad-Pfad nicht zu verlassen! Tillich versagt bereits beim allerersten Schritt und ein dienstbereiter Berliner Professor liefert ihm die bestellten Grafiken.

Es geht nicht nur um eine Zahl in ferner Zukunft, die das Ziel vorgibt. Es geht genau um den Weg dorthin!  Es geht um die Menge der BIS DAHIN ausgestoßenen Treibhausgase, denn DIESE bestimmt das Ausmaß der Erderwärmung, die wir bereits in Gang gesetzt haben und bis dahin noch in Gang setzen. Was Erdmann und Tillich hier verkünden, ist aber nichts anderes als die Aussage: Macht IHR Klimaschutz. Lasst uns aber erst noch unser Geschäftsmodell Braunkohleverstromung bis zu planmäßigen Ende ausreizen! Wenn die Kessel von allein auseinanderfallen, DANN bekennen wir uns zum Klimaschutz.

Herr Tillich, lassen Sie im Interesse Sachsens diese offensichtliche und peinliche Seehoferei! Denn das, was hier versucht werden soll, das ist auf dem Kohlesektor die Entsprechung der empörenden Entsolidarisierung und im Sinne der Gesamtgesellschaft geradezu Asozialität, die wir derzeit auch in der Energie- und Atompolitik des Herrn Seehofer erleben. Die ganze Nation lacht bereits über den Bayern. Wollen Sie es wirklich soweit treiben, dass wir in Sachsen zum Schaden auch noch den Spott bekommen, als Seehofer-Verschnitt gescheitert zu sein?

 

 

 

 

 

 

 

 

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